Männer-Hirne und Frauen-Hirne

Geschlechtsunterschiede aus neurowissenschaftlicher Sicht

Der Mythos, dass das Gehirn eines Mannes ganz anders aussieht und funktioniert als das einer Frau, hält sich hartnäckig. Dabei sind die Unterschiede meist sehr klein, sagen Forscher. Wenn man ein menschliches Gehirn vor sich hat, kann man nicht nur von der Betrachtung hersagen, ob es männlichen oder weiblichen Ursprungs ist.

Nur bei einem Bereich im Gehirn ist das anders. Der Teil des Gehirns, um den es geht, misst nur wenige Millimeter. Er sitzt tief im Gehirn, in einem evolutionär sehr alten Bereich, dem Zwischenhirn und gehört zum menschlichen Sexualzentrum. Bei männlichen Säugetieren ist er der Knotenpunkt, der „typisch männliches“ Verhalten steuert und verschaltet: Dominanz, Aggression und den Sexualtrieb. Frauen haben diese gemeinsame Schaltzentrale dagegen nicht. Bei ihnen sind Dominanz, Aggression und Sexualtrieb entkoppelt und werden von verschiedenen Nervenkernen im Zwischenhirn gesteuert.

Weil der Nucleus präopticus medialis bei Männern diese besondere Funktion erfüllt, ist er mehr als doppelt so groß wie bei Frauen. Der mächtige Nervenzellkern ist deshalb der einzige Bereich des Gehirns, der Forschern verlässlich verrät, ob ein Gehirn einem Mann oder einer Frau gehört.

Dafür, dass der Nucleus präopticus medialis tatsächlich für „typisch männliche“ Verhaltensweisen verantwortlich ist, gibt es Nachweise. So haben Forscher zum Beispiel weiblichen Ratten den Nucleus präopticus medialis eines männlichen Artgenossen eingesetzt. Die Ratte fing daraufhin an, andere Weibchen zu besteigen. Sie war auch aggressiver als zuvor und beteiligte sich an Revierkämpfen.

Beim Menschen gibt es ebenfalls Hinweise darauf, wie bedeutsam der Nervenkern für das Verhalten der Geschlechter ist. Dann nämlich, wenn Männer oder Frauen sich sexuell zum eigenen Geschlechts hingezogen fühlen. Homosexuelle Männer haben schon als Fötus einen deutlich kleineren Nucleus präopticus medialis als ihre heterosexuellen Geschlechtsgenossen.

Umgekehrtes gilt für lesbische Frauen. Bei ihnen ist der Nervenkern größer als bei heterosexuellen Frauen. In besonderen Fällen kann es auch dazu kommen, dass das hormonelle Geschlecht nicht mehr dem genetischen Geschlecht entspricht. Dann spricht man von Intersexualität.

Wissenschaftler vermuten, dass es in so einem Fall zu einer veränderten Kommunikation zwischen dem Embryo und dem hormonellen System der Mutter gekommen ist. Bei mehr als fünf Prozent der Schwangerschaften kommt es in mehr oder weniger ausgeprägter Form dazu.

Das Hauptresultat der Forschungsergebnisse lautet, daß Männer und Frauen sich in der Art ihrer Intelligenz unterscheiden, und zwar vor allem in ihrer Art, abstrakte Aufgaben zu bewältigen.

Probleme, bei deren Lösung Frauen Männern überlegen sind, lassen sich wie folgt aufzählen: 1) Frauen sind besser bei optischen Wahrnehmungen, bei denen es auf die Geschwindigkeit, das detailgetreue Erinnerungsvermögen und die Entscheidungsschnelligkeit ankommt. 2) Frauen haben eine flüssigere Sprache 3) Frauen verfügen über eine feinere Motorik der Hand 4) Frauen besitzen eine höhere Wahrnehmungsgeschwindigkeit.

Männer sind dagegen bei den folgenden Leistungen im Vorteil: 1) Männer haben ein besseres Abstraktionsvermögen und sind bei mathematischen Schlussfolgerungen Frauen überlegen 2) Männer können besser zielgerichtet werfen und auffangen 3) Männer haben ein besseres räumliches Vorstellungsvermögen 4) Männer zeigen bessere optische Leistungen bei Suchbildern, d.h. beim Auffinden versteckter geometrischer Figuren.

Drei dieser Eigenschaften – räumliches Vorstellungsvermögen, mathematisches Schlussfolgern und Wahrnehmungsgeschwindigkeit – wurden bei männlichen und weiblichen Probanden in ihrer Abhängigkeit vom Testosterongehalt untersucht. Die Ergebnisse sind überraschend.

Frauen mit hohem Testosteronspiegel lösen Fragen zum räumlichen Vorstellungsvermögen (männliche Domäne) besser als Frauen mit niedriger Testosteronkonzentration. Bei Männern ist es umgekehrt: ein niedriger Testosteronspiegel korreliert mit besseren Leistungen.

Bei dem Test zur Wahrnehmungsgeschwindigkeit (weibliche Domäne) gibt es dagegen keine Korrelation zwischen Hormongehalt und kognitiver Leistung. Der Test zum mathematischen Schlussfolgern wiederum, bei den Männern besser abschneiden als Frauen, ergibt die besten Leistungen bei Männern mit niedrigem Testosteronspiegel.

Die unterschiedlichen Fähigkeiten variieren mit dem Hormonspiegel. So zeigen Frauen in der Phase des Menstruationszyklus mit niedrigem Östrogenspiegel erhöhte Raumvorstellung und in der Phase mit hohem Östrogenspiegel erhöhte Motorik. Frauen, die Östrogene im Rahmen einer Hormonersatztherapie erhalten, weisen ein besseres Spracherinnerungsvermögen auf.

Diese und ähnliche Tests zeigen übrigens auch Unterschiede zwischen homo- und heterosexuellen Männern. Daraus ergibt sich, dass die optimale Testosteronkonzentration für die genannten kognitiven Aspekte offensichtlich ein Prozentsatz ist, der höher als der normale weibliche und niedriger als der normale männliche Spiegel ist.

Quelle:WELT.DE