Opfer und Taeter


Der Arzt im Lichte von Moral und Ethik

Nach dem Zweiten Weltkrieg bestand lange Zeit das mehrheitliche Bedürfnis, „Österreich nur als erstes Opfer des Weltkrieges zu sehen“. Eine erste Aufarbeitung der eigenen nationalsozialistischen Vergangenheit und der NS-Verbrechen erfolgte in Österreich gegen Anfang der 1980er Jahre eher zögerlich. Der unbewältigte Umgang mit der NS-Vergangenheit, der vor allem aus Verdrängen bestand, änderte sich erst 1986 und es begann eine Auseinandersetzung mit den Opfer- und Täterrollen von Österreichern während der NS-Zeit.

Nur erst 55 Jahre nach Kriegsende, wurde im Rahmen der Tagung „Medizin und Nationalsozialismus in der Steiermark“ erstmals ein Stück offizieller Erinnerungsarbeit zu einem der dunkelsten Kapitel der steirischen Geschichte geleistet.

Durch die schrecklichen Ereignisse im Dritten Reich, die mit dem Begriff der Euthanasie in Verbindung stehen, mindestens 1500 steirische Kinder und Erwachsene wurden Opfer der NS-Aktion T4 in der Grazer „Landesheil- und Pflegeanstalt Am Feldhof“ (der heutigen Landesnervenklinik Sigmund Freud – LSF).

Die Ursprünge Idee von Gnadentod gehen auf den österreichischen Psychologen Adolf Jost (1874 –1908) zurück. Jost forderte nicht nur ein Recht auf den Tod bei unheilbarer Krankheit sondern wandte diesen Grundsatz auch auf „unheilbar geistig erkrankte Menschen“ an, da diese nach der Auffassung von Jost nicht nur ein nutzloses, sondern auch höchst qualvolles Leben führten.

Ein Grundpfeiler der nationalsozialistischen Ideologie – die Rassenhygiene – wurde von deutschen und östereichischen Ärzten aus den Ideen des Sozialdarwinismus und der Eugenik weiterentwickelt. Dabei wurde Hitlers Machtergreifung von vielen freudig begrüßt: 45% aller Ärzte traten nach 1933 in die NSDAP ein. Rassenhygiene wurde Pflichtfach an den Universitäten, Fächer wie Eugenik und Wehrmedizin ersetzten traditionelle Gebiete wie Infektionslehre und Physiologie. Bereits seit 1933 sollte ein intensives Propagandaprogramm für Akzeptanz in der Bevölkerung bezüglich rassenhygienischer Maßnahmen sorgen.

Schon im September 1939 wurde begonnen, an alle Heil- und Pflegeanstalten, psychiatrischen Kliniken, Altenheime Meldebogen der Reichsarbeitsgemeinschaft zur Erfassung und Klassifizierung der Patienten zu versenden.
Aus den Anstalten sollten vor allem alte Menschen, LangzeitpatientInnen sowie Personen mit attestierter Schizophrenie, Epilepsie oder Paralyse beseitigt werden.
Die Entscheidung zustande kam, das Rassenhygiene-Zentrum für die „Ostmark“, für Bayern und die Untersteiermark in Schloss Hartheim einzurichten.

Am 28. Mai 1940 startete der erste Transport mit 200 Patienten von Graz nach Hartheim.

Neben dem Kriterium „Erbkrankheit“spielten die Arbeitsleistung und das Benehmen der PatientInnen eine große Rolle. Für die Selektionen waren neben der psychiatrischen Erkrankung die Arbeitsfähigkeit entscheidende Kriterien. Aber nicht nur Arbeitsunfähige, sondern auch politisch Unliebsame nach Hartheim zu ihrer Ermordung gebracht wurden. In den Papieren wurde die Verbringung mit Begriffen wie Erholungsurlaub getarnt.

Insgesamt wird die Anzahl der im Schloss Hartheim Ermordeten auf über 30.000 geschätzt. Unter den Ermordeten waren kranke und behinderte Menschen, Häftlinge aus Konzentrationslagern und ausländische Zivilarbeiter.

Der ärztliche Leiter stand formell an der Spitze der Hierarchie der Tötungsanstalt. In seine Kompetenz fiel die Tötung der Opfer – der Gashahn musste von einem Arzt bedient werden, er bestimmte die offizielle Todesursache und war für die Führung der Krankenakten zuständig. Auch die Bezeichnung bestimmter Opfer für eine Obduktion, um spezifische Präparate zu erhalten, verbunden mit der Anordnung, diese Menschen vor ihrer Ermordung zu fotografieren, oblag dem Arzt.

Gaskammern waren Teil der NS-Vernichtungsmaschinerie. Die Tötungen erfolgten mit dem farb-, geruch- und geschmacklosen giftigen Gas. Es kamen verschiedene Gase zum Einsatz: Für die Tötung durch Cyanwasserstoff (Blausäure) fand vor allem Zyklon B Verwendung. Auch reines Kohlenstoffmonoxid (CO) wurde benutzt, indem man es aus Gasflaschen direkt in den Raum eingeleitet hat.

Dicht über dem Fußboden der Gaskammer war ein mehrfach durchbohrtes Rohr verlegt. Die Gasflaschen standen im Nebenraum; die Ventile wurden stets von einem Arzt bedient.

In der Zeit des Nationalsozialismus wurde auch Phenobarbital zur gezielten Tötung Kranker und Behinderter eingesetzt. Paul Nitsche entwickelte 1940 das Luminal-Schema, bei dem über mehrere Tage dreimal täglich leicht überdosiert Phenobarbital injiziert wurde. In Verbindung mit der zeitgleich stattfindenden systematischen Unterernährung, führte dies in kurzer Zeit zum Tod der Patienten durch Lungenentzündung. Die Tötungsmethode war unauffällig, da die Gabe von Phenobarbital als Beruhigungsmittel übliche Praxis war. Das Luminal-Schema wurde zunächst zur Ermordung von etwa 5.000 behinderten Kindern in der Kinder-„Euthanasie“eingesetzt. In der zweiten Phase der nationalsozialistischen „Euthanasie“, wurde Phenobarbital auch zur Ermordung einer weit größeren Zahl Erwachsener eingesetzt.

Hunderte Menschen wurden auch zwangssterilisiert. Eng verbunden mit diesen Vorgängen ist die Geschichte der Medizinischen Fakultät der Grazer Universität. Hier lehrten auch überzeugte Anhänger des Nationalsozialismus, die als Mitglieder von Erbgesundheitsgerichten und als Euthanasiegutachter aktiv waren.

Die andere Steiermark
Vergessene Opfer – gefeierte Täter
von Joachim Hainzl (Exzerpt siehe unten)

Streit um das verbliebene Hab und Gut
Um Verwechslungen auszuschließen, wurde ihnen (Kranken) ihr Name mit Jod auf die Haut geschrieben. Wie menschenverachtend vorgegangen wurde, zeigt ein Streit zwischen der Direktion des Feldhofs und Rudolf Lonauer, dem Direktor von Hartheim, um das verbliebene Hab und Gut der PatientInnen. Lonauer übermittelte eine eigene Liste der Habseligkeiten, auf die er besonderen Wert legte. Dazu zählte er etwa Schmuck, Brieföffner, Sparbücher, Briefmarkensammlungen und sogar künstliche Gebisse, soweit sie sich nicht im Munde des Patienten befänden.

Vernichtungsanstalt Hartheim
In Hartheim wurden die Opfer zunächst einem Arzt vorgeführt, dessen Aufgabe es war, eine plausible Todesursache für sie zu erfinden. Dabei konnte er aus einem Katalog von 61 genau beschriebenen Todesarten wählen. Zuletzt wurden die Opfer fotografiert, bevor man sie direkt vom Aufnahmeraum in die als Dusch- oder Inhalationsräume getarnten angrenzenden Gaskammern brachte und ermordete. Die Leichen wurden in eigenen Krematorien verbrannt. Die Informationen an die Hinterbliebenen hinsichtlich des Todesdatums und der Todesursache entsprachen daher nie der Wahrheit. Selbst der genaue Inhalt der Urnen ist ungewiss.

Viele wussten davon
Diese plötzlichen massenhaften „Verlegungen“ blieben nicht unbemerkt. Sowohl unter den PatientInnen als auch vielen Angehörigen dürfte deren tatsächliche Bedeutung nicht unbekannt gewesen sein. So wurden neben dem Grazer Feldhof auch aus seinen Zweigstellen Kainbach bei Graz, Messendorf, Schwanberg und Maria Lankowitz viele direkt nach Hartheim transportiert. In der Landessiechenanstalt Kindberg wurde die Tötung von 140 Personen bald nach dem Krieg publik. Dazu kommt noch eine bisher unbekannte Anzahl von Opfern in den Landessiechenanstalten Feldbach, Knittelfeld und Ehrnau bei Mautern.

Kindereuthanasie
Neben den Erwachsenen wurden im Feldhof hunderte Kinder Opfer des Regimes und der dortigen Ärzte. Seit 1939 waren Ärzte und Hebammen verpflichtet, missgestaltete und behinderte Neugeborene dem Gesundheitsamt zu melden. In der Folge urteilten wiederum „Gutachter“ anhand der gemeldeten Daten über Leben und Tod. Für die betroffenen Kinder wurden in den Anstalten eigene „Kinderfachabteilungen“ gegründet, deren bekannteste der Wiener „Spiegelgrund“ ist, in der Dr. Heinrich Gross Kinder für seine „wissenschaftlichen“ Arbeiten verwendete. Die meisten Versuche waren bewusst auf den Tod der Opfer ausgerichtet.
Meist wurden die Kinder, wie auch ehemalige Angestellte berichten, durch Spritzen mit einer Mischung der Alkaloide Morphin und Scopolamin, so genanntes Morphium-Scopolamin in letaler Dosis getötet.

Aus Wikipedia

Ernst Sorger (1892-1945) war ein österreichischer Psychiater und Primarius an der Landes-Pflegeanstalt Feldhof bei Graz.
Sorger war ab 1921 als Psychiater in der Pflegeanstalt Feldhof tätig. Von 1932 bis 1944 war Sorger Primararzt der Frauenabteilung an der HPfA. Er trat 1935 der NSDAP bei, betätigte sich später als Redner beim Rassenpolitischen Amt der NSDAP. Sorger war zudem ab 1940 Landesobmann der „Erbbiologischen Bestandsaufnahme“und als solcher einer der „exponiertesten Rassepsychiater“und strikter Befürworter von Zwangssterilisationen.
Sorger gehörte zum Kreis der T4-Gutachter für die Aktion T4. Diese „Gutachten“, die meist aufgrund der Aktenlage getroffen wurden, waren gut bezahlt: Bei 100 Meldebögen bekamen die Gutachter 100 Reichsmark (RM). Sorger hat mit Begusch auch sogenannte Vor-Ort-Selektionen in kleineren Siechen- und Pflegeanstalten vorgenommen; dies war eine österreichische Besonderheit, die darin bestand, dass das allgemeine Begutachtungsverfahren teilweise durch die Arbeit sogenannter „fliegender Ärztekommissionen“ ersetzt wurde.

Oskar Begusch (1897-1944) war ein österreichischer Psychiater, Direktor der Landes-Irren-Heil- und Pflegeanstalt Feldhof bei Graz.

Begusch war von 1921 bis 1928 Assistent an der Nervenklinik Graz und danach bis 1939 als praktischer Nervenarzt in Graz tätig. Ab September 1939 bis Januar 1944 war Begusch Direktor der Anstalt „Am Feldhof“. Unter seiner Leitung entwickelte sich der Feldhof zu einem Zentrum eugenischer Maßnahmen in der Steiermark.

Rudolf Lonauer (1907-1945) war ein österreichischer Nationalsozialist. Als in der Ostmark führender NS-Euthanasie-Arzt leitete er die NS-Tötungsanstalt Hartheim.

Sein Medizinstudium war schon im Sinne der Rassenhygiene ausgerichtet, er studierte beim Professor der Neurologie Fritz Hartmann in Graz, der bereits 1919 die „erbliche Reinhaltung der deutschen Rasse“ gefordert hatte. Wie Hartmann vertrat auch Lonauer die Meinung, dass psychotherapeutische Vorgehensweisen als „jüdisch“ abzulehnen seien.

Mit 33 Jahren wurde er Leiter der NS-Tötungsanstalt Hartheim in Alkoven. Zudem führte er eine Privatpraxis in Linz. Er unternahm auch Dienstreisen gemeinsam mit Aktion-T4-Obergutachter Hermann Paul Nitsche, Viktor Brack und Victor Ratka, wobei in Krankenhäusern, psychiatrischen Anstalten und Altersheimen nach „unwertem Leben“ gesucht und für die Tötungsanstalten selektiert wurde.
Als T4-Gutachter entschied er über Tod oder Leben von Menschen aufgrund der Meldebogen, ohne jemals den betreffenden Menschen gesehen zu haben. Von der Aktion T4 wurde er für diese Tätigkeiten mit monatlichen Pauschalen bezahlt.

In der von Lonauer geleiteten Anstalt Niedernhart in Linz wurde anfangs nur eine Verminderung der Fleischrationen für die Patienten festgelegt. Bis April 1945 wurde in Niedernhart und Gschwendt getötet, in der sogenannten wilden bzw. dezentralen Euthanasie, mittels Medikamenten. Insgesamt wird von geschätzten 800 Tötungen ausgegangen.
Während des Krieges wurden auch rund 250 Personen in Niedernhart eingewiesen, bei denen es sich offenbar um ausländische Zivilarbeiter (darunter zahlreiche Ostarbeiter) handelte. Auch einige von ihnen wurden im Rahmen der „Euthanasie“ in Niedernhart ermordet.

Heinrich Gross (1915 -2005) war ein österreichischer Arzt, der als Stationsleiter der Reichsausschuß-Abteilung an der Wiener Euthanasie-Klinik Am Spiegelgrund behinderte Kinder für Forschungszwecke missbrauchte und an ihrer Ermordung beteiligt war. Seine Nachkriegskarriere konnte er auf der während der NS-Zeit entstandenen Gehirnsammlung aufbauen, die er für 34 wissenschaftliche Arbeiten heranzog. Er wurde Leiter des eigens für ihn geschaffenen Ludwig Boltzmann-Instituts zur Erforschung der Mißbildungen des Nervensystems und meistbeauftragter Gerichtspsychiater Österreichs.

Josef Vallaster (1910 – 1943) war ein österreichischer Nationalsozialist und ab 1940 an den Verbrechen der NS-„Euthanasie“und des Holocaust beteiligt. Er wurde unter anderem in der NS-Tötungsanstalt Hartheim sowie im Vernichtungslager Sobibór eingesetzt.
Ab April 1940 wurde Vallaster im Rahmen der Aktion T4 in Hartheim zunächst als Arbeiter für Umbauarbeiten eingesetzt, wie für den Einbau eines Verbrennungsofens und die Herstellung eines Vergasungsraumes. Ab Mai 1940 war er in der von dem T4-Gutachter Rudolf Lonauer geleiteten Tötungsanstalt an der Vergasung und Verbrennung von behinderten und kranken Menschen beteiligt. Zu Vallasters Aufgaben gehörte das Ausbrechen von Goldzähnen.

Gaswagen
wurden erstmals im Sommer 1940 zur Ermordung von Patienten im Rahmen der Aktion T4 („Euthanasie“) im Wartheland (Polen) eingesetzt. Jeweils rund 40 Personen wurden in luftdichten LKW-Aufbauten während der Fahrt mit Kohlenmonoxyd aus Flaschen vergast. Diese Tötungsmethode wurde so verändert, dass die Motorabgase in die geschlossenen Kastenaufbauten gelenkt wurde. Die Gaswagen wurden im Gebiet der besetzten Sowjetunion von den dortigen Einsatzgruppen eingesetzt.
Die Tötungen wurden im Normalfall durch Einleitung der Autoabgase während der Fahrt von einem Sammelplatz zu einem Exekutionsort durchgeführt. Im Dezember 1941 wurden in Chelmno (Kulmhof) ein Vernichtungslager errichtet. Innerhalb eines Jahres wurden dort mindestens 152 000 Menschen in Gaswägen ermordet.
(zitiert nach Enzyklopädie)
Technik
Als Gaswagen bezeichnet die Forschung speziell gebaute Lastkraftwagen, mit denen das NS-Regime Ermordungen mittels CO als auch durch Abgase vornahm. Die Kastenaufbauten mit dicht schließender Flügeltür am Heck wurden von der Firma Gaubschat/Berlin geliefert.Dort wurde am Auspuff ein Abgasschlauch angebracht, der von außen zum Boden des Wagens geführt wurde.
Bei Anlassen des Motors und nach hergestellten Verbindungen gingen die Auspuffgase des Motors durch den Auspuff in den Abgasschlauch und von dort in das im Wageninneren angebrachte Auspuffrohr.

Je nach Größe der wie Möbelwagen aussehenden LKWs wurden 25 bis 50 Opfer zum Einsteigen genötigt. Der Motor wurde für wenigstens zehn Minuten betrieben. Während dieser Zeit waren oft Schreie und Klopfen der eingeschlossenen Menschen zu hören, die in Todesangst zur fest verriegelten Tür drängten.