Deutsche Sprache verschwindet

Deutsch war einmal weltweit die wichtigste Wissenschaftssprache. Heute wird in den Naturwissenschaften fast ausschließlich auf Englisch publiziert – die Geisteswissenschaften ziehen nach.

In den Naturwissenschaften, in Mathematik, in den Lebenswissenschaften wie der Biologie, in der Wirtschaftswissenschaft wird quasi nichts mehr in deutscher Sprache publiziert. Man hört, liest und schreibt englisch. Kongresse, auch auf deutschem Boden, werden ganz selbstverständlich auf Englisch abgehalten.

Doch längst sind es nicht mehr nur die genannten Fächer, in denen Deutsch verschwunden oder im Verschwinden begriffen ist; auch die Geisteswissenschaften verzeichnen einen Bedeutungsverlust des Deutschen.

Nicht umsonst hatte das Deutsche im 19. und frühen 20. Jahrhundert eine kurze Karriere als wichtigste Wissenschaftssprache, als auch ein großer Teil der maßgeblichen naturwissenschaftlichen Forschung aus Deutschland kam, das Land und seine Bürger das Neue und Unbekannte bejubelten und Entdeckungen kaum unter ethischen Gesichtspunkten bewertet wurden.

Der nationalistische Eifer des Ersten Weltkriegs und der Exodus der weithin jüdischen Intelligenz im Zweiten Weltkrieg haben das Deutsche seinen Rang gekostet. Die gesellschaftliche Aufarbeitung dieser Epoche hat zudem gegen einige Forschungsgebiete ein Misstrauen geweckt, das in den Debatten über die Chancen und Risiken von Biotechnologie oder Medizin offensichtlich wird.

Lehrstühle werden oft jenen überantwortet, die die meisten Publikationen und Referenzen nachweisen können. Die wichtigsten Zitationsverzeichnisse listen jedoch vornehmlich englischsprachige Bücher und Zeitschriften. So fallen Texte in anderen Sprachen nicht mehr ins Gewicht – sie zählen im wahrsten Wortsinn nicht mehr.

Damit stellt sich ein weiteres Problem: Geht die deutsche Wissenschaftssprache verlustig, wird es für die Forscher schwieriger, ihre Ergebnisse selbst einem gebildeten Publikum von Laien zu erklären. Gerade bei Disziplinen, die unter einem Rechtfertigungsdruck stehen, wie die Biotechnologie, aber auch die Chemie oder Physik, droht diese „Sprachlosigkeit“ auf sie selbst zurückzufallen. Unverständnis zeitigt dann schnell Ablehnung.

Gerade in den Geisteswissenschaften habe das Deutsche eine so lange und bedeutende Tradition, dass man nicht eilfertig dem Englischen den Vorzug geben sollte. Die Nutzung des Englischen ist oft auch ein falsch verstandenes Gleichheitsdenken an der falschen Stelle. Jede Sprache habe ein kulturelles Gedächtnis, das dürfe man nicht verspielen.

Zukünftig aber wird der junge Deutsche und Österreicher über Naturwissenschaft nur auf Englisch reden und schreiben. Das heißt nicht nur, dass die Nationalsprache dieses Feld der Rede verliert, sondern auch, dass die Beherrschung der nationalen Standardsprache für die Jugend immer weniger wichtig wird.

Quelle: Die Zeit

Galina Toktalieva

Author, photographer

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